FAZ vom 11. Mai
Kampf um die Befreiung vom „Glücksspiel-Diktator“
Politaffäre um die Sportwetten: Der Staat hat sich mit der Lizenzvergabe an Unternehmen verzockt. Hessen übt Kritik und fordert jetzt eine Öffnung für alle Anbieter.
Von Michael Ashelm, Frankfurt
Sieben Milliarden Euro werden mit Sportwetten in Deutschland umgesetzt. Getrieben wird der Markt von einer hohen Kundennachfrage, der steigenden Beliebtheit von Online-Angeboten, einer Vielzahl von Unternehmen und letztlich auch der schier grenzenlosen Popularität wachsender Unterhaltungssparten wie dem Fußball. Fast alle Bundesligaklubs haben Sponsoren aus der Wettbranche, aber riskieren aufgrund weiterhin fehlender Konzessionierung Strafverfahren. Der jahrelange Versuch der Bundesländer, die staatlichen und privaten Glücksspielangebote vernünftig zu regulieren, ist im Desaster geendet. Deutsche Gerichte erteilen den Behörden, die zum Teil mit obskuren Mitteln weiterhin das eigentlich abgeschaffte staatliche Glücksspielmonopol verteidigen, immer öfter eine Abfuhr. Zusätzlich sorgt eine Klagewelle von Wettanbietern, die bei der Lizenzvergabe leer ausgingen, für Chaos. Die EU-Kommission verschärft ihre Kritik an bedenklichen Wettbewerbsbeschränkungen. Aber mehr noch: Das sich nun schon drei Jahre hinziehende Verfahren um die Vergabe der Konzessionen für Sportwetten-Anbieter hat sich zu einer Politaffäre ausgeweitet, die bizarre Blüten treibt.
Die Verwerfungen sind so groß, dass der hessische Innenminister, der federführend im Auftrag aller Bundesländer für die Konzessionsvergabe zuständig ist, jetzt die Notbremse ziehen will. Peter Beuth (CDU) spricht von einer „Sackgasse“ und appelliert an die Länderchefs. „Wir benötigen jetzt die Bereitschaft aller Ministerpräsidenten, den Deckel zu öffnen und die Begrenzung auf 20 Konzessionen aufzuheben“, sagt er gegenüber dieser Zeitung. Die Vergabe der Sportwetten-Konzessionen sei durch die vielen gerichtlichen Verfahren erheblich belastet und in die Länge gezogen. Hessen habe von Anfang an gefordert, wegzukommen von einer quantitativen Bewertung und qualitative Maßstäbe bei der Vergabe der Konzession an die Bewerber zu stellen. „Deshalb ist auch jede Kritik an Hessen als Durchführende des Verfahrens, das wir für alle Länder umsetzen müssen, nicht gerechtfertigt“, sagt Beuth.
In einem internen Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, hatte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) seine Kollegen schon im vergangenen Jahr für eine Öffnung und einen liberaleren Kurs in dem festgefahrenen Prozess gewinnen wollen. Zwecklos. Manche Ministerpräsidenten legen sich quer, wie Hannelore Kraft (SPD), die das staatliche Monopol mit den einflussreichen Lottogesellschaften der Länder protegiert. Andere Länderchefs spielen ein undurchsichtiges Doppelspiel, sind wie die Bayern vorgeblich für den Wettbewerb, aber blockieren trotzdem. Die heimliche Macht in der Verteidigung des staatlichen Wettmonopols ist aber eine andere Institution: das Glücksspielkollegium.
Treibende Kraft ist sein Vorsitzender Thomas Gößl aus dem bayerischen Innenministerium. Der Ministerialrat hat am Glücksspielstaatsvertrag federführend mitgeschrieben und steuert im Hintergrund das fragwürdige Konzessionsverfahren. Angeblich geht es ihm um die steigenden Suchtgefahren bei ausufernden Sportwettangeboten. Die Arbeit des Glücksspielkollegiums ist aber nicht einsehbar. Sitzungstermine, Tagesordnungen oder Protokolle werden nicht veröffentlicht. Es gibt keine offizielle Liste mit den Namen der Mitglieder. In der Branche wird Gößl aufgrund seines fundamentalistischen Eifers gegen die Öffnung des Wettmarktes auch als „Ajatollah“ oder „Diktator“ bezeichnet. Eigentlich wäre er in seiner Position der Neutralität verpflichtet, in Wirklichkeit trat er schon als Vertreter des Freistaats in Verhandlungen vor Gericht gegen Wettunternehmen auf.
Nach der Klage eines nichtberücksichtigten Wettanbieters bezeichnete die Richterin des Verwaltungsgerichts Wiesbaden die Entscheidungsfindung des Glücksspielkollegiums als „intransparent“ und „fehlerbehaftet“. Einige Staatsrechtler halten das Glücksspielkollegium für verfassungswidrig. Es fehle an Kontrolle und Aufsicht. Rechtsanwalt Rolf Karpenstein, der vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden einen Kläger erfolgreich vertrat, bezeichnet das Glücksspielkollegium als „Geheimbund“, der gesichtslos im Hintergrund die Strippen ziehe. „Es handelt sich um eine dritte Macht im Staat, die einer effektiven auch gerichtlichen Kontrolle entzogen ist“, kritisiert der Rechtsanwalt Frieder Backu, der seit vielen Jahren Unternehmen aus dem Online-Gaming berät. Mathias Dahms, Präsident des Deutschen Sportwettenverbandes, sagt, dass das Konzessionsverfahren sehenden Auges gegen die Wand gefahren worden sei, und fordert die Politik zum Eingreifen auf. Aus Sicht seiner Kollegin Karin Klein vom europäischen Sportwettenverband würde das Glücksspielkollegium einseitig private Anbieter benachteiligen. Die Gerichte geben den Kritikern recht.
Eine konkrete Anfrage dieser Zeitung zu den Vorwürfen wird nicht von Gößl selbst, sondern der Pressestelle des bayerischen Innenministeriums beantwortet – allerdings ausweichend. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) tut nichts. Dagegen fordert sein Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer, Mitglied im Innen- und Sportausschuss, eine praxistaugliche Regulierung. Daraus verspricht er sich weitere Steuereinnahmen und auch Abgaben für den Breitensport. „Im Bereich der Sportwetten ist der Glücksspielstaatsvertrag jedenfalls gescheitert“, sagt Mayer der F.A.Z. Aus Protest gegen die Arbeit des Glücksspielkollegiums zog sich inzwischen auch der Sportbeirat, in dem Vertreter großer Sportverbände sitzen, als Beratungsgremium beim Sportwetten-Konzessionsverfahren zurück.
Während das Verwaltungsgericht in Wiesbaden zuletzt feststellte, dass das Konzessionsverfahren rechtswidrig sei, gehen Behörden juristisch gegen Wettbüros vor. Obwohl von den Ländern während des ungeklärten Konzessionsverfahrens gegenüber der EU-Kommission eine Art Friedenspflicht zugesichert worden war, gibt es zum Beispiel in Bayern Strafverfahren und Urteile gegen kleinere Anbieter wegen unerlaubter Vermittlung von Sportwetten. Wenn ein FC Bayern Millionenverträge mit privaten Wettunternehmen abschließt, passiert dagegen nichts. Eine Amtsrichterin in Sonthofen hatte Bedenken gegen die Verurteilung einer Wettvermittlerin und reichte ein Vorlageverfahren beim Europäischen Gerichtshof ein.
Derweil geben viele private Wettunternehmen, darunter alle aus dem Sportwettenverband, auch ohne Konzession freiwillig Steuerzahlungen ab. Diese summierten sich 2014 auf 226 Millionen Euro. Es könnte aber viel mehr sein, wenn feste Regelungen geschaffen würden und nicht mehr im halblegalen Graumarkt operiert werden müsste. Somit haben die gescheiterten staatlichen Regulierer derzeit Monat für Monat auch steuerliche Mindereinnahmen zu verantworten. Wie sauber das Konzessionsverfahren noch ablaufen kann, hängt aber auch noch von anderen wichtigen Fragen ab. Dazu gehört die höchst zweifelhafte Einbindung der Rechtsanwaltskanzlei CBH in den Vergabeprozess der Wettlizenzen. Während Rechtsanwälte von CBH seit Jahren staatliche Lottogesellschaften vertreten sowie beraten und sich in Anhörungen fürs staatliche Wettmonopol einsetzten, mussten sich private Wettunternehmen für ihre Bewerbung um eine Konzession bei CBH als Verfahrenshelfer mit ihren kompletten Geschäftszahlen offenbaren. Nicht nur dem Verwaltungsgericht Wiesbaden kommt das merkwürdig vor. Für die EU-Kommission könnte unter Umständen ein Verstoß gegen das Verbot der „Günstlingswirtschaft“ vorliegen. Ein Interessenkonflikt wird von CBH auf Anfrage zurückgewiesen.
Selbst einige staatliche Lottogesellschaften, die wettbewerbsorientiert denken, gehen inzwischen auf Distanz zu den selbsternannten Wächtern des Wettmonopols. Sie wollen sich mit verschiedenen Angeboten am lukrativen Geschäft beteiligen. „Wir kommen aus der verfahrenen Situation nur heraus, wenn jetzt mit Hilfe der Politik die Grenze für 20 Sportwetten-Konzessionen endlich aufgehoben wird“, fordert der Geschäftsführer von Lotto Hessen, Heinz-Georg Sundermann. Durch den Markt würde dann sowieso eine Konzentration auf fünf bis zehn wettbewerbsfähige Unternehmen stattfinden.